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JAZZ SPIRIT – 13. Politik (ab 1970)
In den 1970er Jahren1)
entsandte das amerikanische Außenministerium weiterhin angesehene, überwiegend
afro-amerikanische Jazz-Musiker auf internationale Tourneen – als kulturelle
Repräsentanten der USA. Zugleich ließ die Regierung im Inland die
Black-Power-Bewegung zerschlagen – die militante Form der
Bürgerrechtsbewegung, die sich gebildet hatte, nachdem die Bewegung über all
die Jahre massiver rassistischer Gewalt ausgeliefert war, oft auch in Form von
Polzeigewalt.2)
HÖRBEISPIEL: Gary Bartz: Uhuru Sasa (1971)
Zwar war die so genannte Rassentrennung Mitte der 1960er
Jahre gesetzlich aufgehoben worden und vielen gelang allmählich ein sozialer
Aufstieg, sodass eine afro-amerikanische Mittelschicht entstand. Für die Masse
armer Leute in Gettos konnte die Bürgerrechtsbewegung jedoch kaum eine
Verbesserung erreichen. Ihre Lage verschärfte sich noch in den 1970er Jahren
durch eine Wirtschaftskrise.3)
Eine ganze Generation junger Afro-Amerikaner wuchs heran, die keine Aussicht
hatte, je Arbeit zu finden. Anfang der 1980er Jahre setzte dann die
neoliberale Politik ein und ließ die afro-amerikanischen Armenviertel noch
weiter verelenden. Sie versanken in Verwahrlosung und Kriminalität. Kinder
wuchsen in menschenunwürdigen Verhältnissen auf.
Die Mehrheitsgesellschaft distanzierte sich von diesem Elend, abgeschreckt von
der Kriminalität und beeinflusst von neoliberaler Propaganda.4)
Engagierte Jazz-Musiker, die die Freiheitsbewegung der 1960er
Jahre fortführten, erreichten weder die Bessergestellten noch die Gettos und
hatten selten Auftrittsmöglichkeiten. Selbstorganisierte Spielstätten, wie die
Lofts der 1970er Jahre in der New Yorker Innenstadt, wurden unerschwinglich.5)
HÖRBEISPIEL: Azar Lawrence: Warriors Of Peace
(1974, mit Arthur Blythe)
In den 1980er Jahren trat eine neue Jazz-Bewegung in den
Vordergrund, medienwirksam präsentiert von jungen Musikern der Mittelschicht,
allen voran vom Trompeter Wynton Marsalis.6)
Sie waren von Musikschulen geprägt, vor allem von den nun immer bedeutender
werdenden Jazz-Hochschulen.7)
Die früheren Meister hingegen hatten sich das Spielen weitgehend selbst
beigebracht, im Kontakt mit Vorbildern in der Jazz-Subkultur.
Die jungen Musiker aus Schulen ahmten Jazz-Stile aus der Zeit vor der
Free-Jazz-Bewegung nach8)
und unterschieden sich auch dadurch von kreativen Meistern wie Charlie Parker
und John Coltrane, die ihre eigenen, persönlichen Stile entwickelt hatten.9)
Wynton Marsalis gelang es, dem traditionsgebundenen Jazz einen beständigen
Platz im etablierten, bürgerlichen Kulturbetrieb zu verschaffen – als eine Art
klassischer, amerikanischer Musik.10)
Innovation war von dieser Jazz-Richtung nicht zu erwarten, auch kein
engagierter Bezug auf die aktuellen, gesellschaftlichen Verhältnisse.11)
Aber so wie die Gesellschaft nicht nur aus großen Blöcken besteht, so ist auch
der Jazz vielfältig und hat Nischen. Damals, in den 1980er Jahren, formierte
sich in New York eine kleine, kreative Szene junger, afro-amerikanischer
Musiker.12)
HÖRBEISPIEL: Steve Coleman and Five Elements:
Change The Guard (1986)
Diese Musik spiegelte nicht das bürgerliche Leben der
Mittelschicht wider, auch nicht die deprimierenden Kämpfe der Gettos, sondern
den cleveren Spirit einer sehr lebendigen afro-amerikanischen Subkultur.
Diese jungen Musiker nannten ihre Bewegung M-Base
und gaben diesem Begriff bewusst eine weite, schillernde Bedeutung. Es ging
ihnen um Kreativität, um Improvisation mit Struktur (im Gegensatz zur
Ungebundenheit der 1960er Jahre); Meisterschaft war wichtig, jedoch im Dienst
des Ausdrucks und der Botschaft ihrer Musik; afrikanische Wurzeln spielten
eine erhebliche Rolle und das Ziel war, einen zeitgemäßen Beitrag zur Kultur
von Charlie Parker, John Coltrane und so weiter zu leisten.13)
Die Bezeichnung M-Base hatte sich der Saxofonist
Steve Coleman ausgedacht und der kam dann um 1990 tatsächlich an Charlie
Parkers und John Coltranes Geist, Kreativität und musikalisches Niveau heran –
mit einer top-aktuellen Musik.14)
HÖRBEISPIEL: Steve Coleman and Five Elements:
Ain’t Goin’ Out Like That (1990)
Die Musik von Meistern wie Charlie Parker, John Coltrane und
Steve Coleman ist kein abstraktes Spiel mit Klängen, keine abgehobene Kunst,
auch nicht bloß Unterhaltung oder Mittel für angenehme Stimmungen. Vielmehr
teilen sich die Meister mit ihrem Spiel offen und tiefgehend mit – als Person
mit ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Erfahrung.15)
So lädt ihre Musik zu Beziehung ein und involviert auch in die
gesellschaftliche Problematik ihrer Minderheit.
Der afro-amerikanische Charakter des Jazz war schon immer für
weltoffene Europäer reizvoll. Oft waren Klischees im Spiel – Exotik, Wildheit,
Urwüchsigkeit, eine Menge Missverständnisse. Aber Interesse an
afro-amerikanischer Kultur und Lebenswirklichkeit ist sehr wohl eine treffende
Antwort auf diese Musik.
HÖRBEISPIEL: Steve Coleman and Five Elements:
Multiplicity of Approaches (1995)
Für solche Musik waren die Aufführungsmöglichkeiten in den
USA schon damals (in den 1990er Jahren) sehr beschränkt. Das lag nicht nur am
geringen Interesse an anspruchsvoller Musik. Tief verwurzelte, unbewusste
Einstellungen erschweren es Hörern seit jeher, Musik mit starken Zügen
afro-amerikanischer Subkultur als kunstvoll zu erkennen. Jazz aus Hochschulen
hat es da leichter.
In den Schulen waren stets ältere Musiker aus der früheren
Jazz-Szene gefragt – als Vermittler echter Jazz-Erfahrung. Auch einige
Avantgarde-Musiker wie Archie Shepp konnten sich so als Lehrer ein
regelmäßiges Einkommen verschaffen. Diese älteren, großteils
afro-amerikanischen Lehrer16)
wurden jedoch naturgemäß immer weniger und nun sind die allermeisten Lehrer –
wie auch die Schüler – Leute aus der „weißen“ Mittelschicht. Sie kamen mit der
afro-amerikanischen Jazz-Subkultur nie wirklich in Berührung17)
und vertreten meistens ein „farbenblindes“ Jazz-Verständnis – also ohne Blick
auf die Hautfarbe, ohne Bezug auf afro-amerikanische Identität.18)
Alljährlich drängen viele Jazz-Schulbsolventen zusätzlich auf
den viel zu kleinen Jazz-Markt. Sie besetzen mittlerweile die meisten
Auftrittsmöglichkeiten19),
decken vielfältige Stilbereiche aus der Vergangenheit ab, auch
avantgardistische, kombinieren zum Teil Jazz mit populärer Musik und setzen
manchmal auch politische Botschaften ein, zum Beispiel im Zusammenhang mit der
Black-Lives-Matter-Bewegung der Zeit ab 2013.
HÖRBEISPIEL: Kamasi Washington: Malcolm's Theme
(2015)
Dieses Stück beschwört die Erinnerung an den
Black-Power-Führer Malcolm X, der durch Hip-Hop-Gruppen wieder populär wurde.
Das ist aber kein wirklich spannender, raffiniert gestalteter Jazz, sondern
mehr eine Collage aus jazzigen und souligen Sounds, die afro-amerikanisches
Selbstbewusstsein symbolisieren. Auch manche anderen Jazz-Aufnahmen drücken
plakativ gesellschaftliche und politische Zugehörigkeit aus. Das großartige
Spiel der Meister hingegen regt auf faszinierende Weise den Geist an und
vermittelt tiefgründige Wahrhaftigkeit und Schönheit. Damit verlangt es auch
in politischer Hinsicht eine geistvolle, einfühlsame Haltung.
HÖRBEISPIEL: Steve Coleman and Five Elements: 9
to 5 – Mdw Ntr (2018)
Die Schulen formalisierten den Jazz und lösten ihn damit von
der Jazz-Subkultur ab. So kann der Jazz der Schulen überall auf der Erde
gelehrt und gelernt werden – anhand von Lehrbüchern, Übungssoftware und so
weiter. Auch in Europa bringen Jazz-Schulen viele Absolventen hervor.
Heimische Szenen wuchsen an und nahmen zunehmend den europäischen Jazz-Markt
in Beschlag. Für Jazz-Musiker aus Übersee reduzierten sich damit die
Verdienstmöglichkeiten in Europa, die für sie ein wichtiges Standbein waren.
Jazz-Publizisten verkündeten: Der Jazz sei nun globalisiert –
also nicht mehr afro-amerikanisch, auch nicht amerikanisch im „farbenblinden“
Sinn, sondern ein Kulturgut aller.20)
Die afro-amerikanische Jazz-Subkultur verlor immer mehr an
Boden21),
nachdem sie ein Jahrhundert lang den Jazz mit ihren kreativen Leistungen
nährte. So haftet dem heutigen Jazz selbst eine politische Problematik an.22)
HÖRBEISPIEL: Steve Coleman and Five Elements:
idHw (2017)
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werden.
- bis 1978 (Quelle: Penny M.
Von Eschen, Satchmo Blows Up the World, 2004, Kindle-Version,
S. 246)
- Näheres und Quelle: Link
- Quelle: Penny M. Von Eschen,
Satchmo Blows Up the World, 2004, Kindle-Version, S. 185, 224
und 252
- Näheres und Quelle: Link
– Sheryll Cashin: Von allen
stillschweigenden Übereinkünften der Mehrheitsgesellschaft über die
soziale Trennung scheine das oberste Prinzip, das Hauptprinzip zu sein,
dass arme Schwarze zu meiden sind und dass die Gesellschaft sie besser
in ihre eigenen Nachbarschaften abschieben sollte, weit weg insbesondere
von beträchtlichen weißen Bevölkerungsgruppen. Tatsächlich könne man
argumentieren, dass die unterbewusste Daseinsberechtigung des
separatistischen Systems darin besteht, „weiße“ Familien mit Kindern in
„sichere“ Häfen zu sperren. Obwohl die Leute es ungern zugeben,
basierten die Vereinigten Staaten viel mehr als jede andere entwickelte
westliche Nation auf der Vorstellung, dass es Gewinner und Verlierer
gibt. „Weiße“ mit mittlerem Einkommen könnten nicht verstehen, dass ihre
tägliche Sorge, in Amerika einfach nur die Nase vorn zu haben, viel
damit zu tun hat, wie sich die Gesellschaft ordnet. Die Trennung der
Menschen aufgrund ihrer Rasse und ihres wirtschaftlichen Status schränke
die Möglichkeiten aller ein. Mit dem teuren Preisschild, das an
exklusive „Gewinner“-Viertel geknüpft ist, werde es für „Weiße“ mit
mittlerem Einkommen immer schwieriger, sich die Insignien eines
Mittelklasse-Status zu leisten, der ein Zuhause in einer „sicheren“
Nachbarschaft mit „guten“ Schulen sowie die Möglichkeit umfasst, Dinge
wie Studiengebühren und Gesundheitsversorgung zu bezahlen. (Quelle:
Sheryll Cashin, The Failures of Integration, 15.6.2005,
Internet-Adresse:
https://www.americanprogress.org/article/the-failures-of-integration/)
- Greg Tate: In den frühen
1980er Jahren seien die Auftritts- und billigen Wohnmöglichkeiten für
Free-Jazz-Musiker in Lower Manhattan ziemlich versiegt. Während man 1977
an jedem beliebigen Abend ausgehen und Julius Hemphill, Henry
Threadgill, Anthony Davis und Arthur Blythe in einem Loft hören konnte,
Lester Bowie, Cecil Taylor und Jimmy Lyons in einem anderen und das
Oliver-Lake/Michael-Gregory-Jackson-Duett in einem dritten, alles für
die Kosten von ein paar Bier, da sei dieses Geschäft 1982, als er (Greg
Tate) in die Stadt übersiedelte, ziemlich abgeschlossen gewesen. Die
Musikrichtung, die diese Spieler repräsentierten, sei natürlich nicht
ausgestorben und sei zur Grundlage für die Bandbreite der Dinge
geworden, die in den 1980er Jahren von Leuten wie John Zorn und Bill
Laswell gemacht wurden. Doch sei der Niedergang dieser Musikszene das
letzte Mal gewesen, dass unnachgiebige, progressive schwarze Jazzmusiker
sozusagen in der New Yorker Boheme eine Straßen-Präsenz hatten. Diese
Generation sei auch von der Kürzung der staatlichen Mittel für die
Künste durch Reagan getroffen worden. (Greg Tate, Black Jazz In The
Digital Age, in: Ajay Heble/Rob Wallace, People Get Ready. The
Future of Jazz Is Now!, 2013, S. 217-224)
- Burton W. Peretti: Der Jazz
habe in den 1980er Jahren ein bemerkenswertes Comeback erlebt. Wynton
Marsalis und Musiker wie Marcus Roberts, Trompeter Terence Blanchard und
Kenny Washington seien in Konzertsäle und wiederbelebte, neugestaltete
Jazzclubs gezogen. Ihre teuren Anzüge, ihre gepflegte und gebildete Art
und ihre Ehrfurcht vor der Tradition – insbesondere der von Wynton
Marsalis – erschienen manchen wie eine Gentrifizierung des Jazz.
(Quelle: Burton W. Peretti, Jazz in American Culture, 1997, S.
165f.)
- Eitan Y. Wilf im Jahr 2014:
Es habe in den letzten Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten ein
dramatischer Aufstieg der akademischen Jazzausbildung stattgefunden.
2010 habe der Jazz Education Guide der Zeitschrift JazzTimes allein in
den Vereinigten Staaten hunderte College-Jazz-Programmen aufgelistet,
für die sich jährlich tausende Studenten einschreiben. Viele erfahrene
Jazzmusiker, die vor der vollständigen Akademisierung der Jazzausbildung
ihre Ausbildung durch eine längere Lehrzeit bei Meistermusikern
erhielten, lehnten die Idee des Jazzprogramms ab. (Quelle: Eitan Y.
Wilf, School for Cool, 2014, Kindle-Version, S. 4) – Wynton Marsalis lernte
Jazz-Spielen von seinem Vater, einem Hochschullehrer für Jazz, und
studierte klassische europäische Musik an einem Konservatorium.
- Eitan Y. Wilf: Die Periode
der Jazz-Geschichte zwischen den 1940er und den späten 1960er Jahren,
die mehrere stilistische Veränderungen umfasst – von Bebop, Hardbop,
Postbop bis hin zu den Anfängen des Free Jazz –, gelte in der
schulischen Jazz-Ausbildung als goldenes Zeitalter des Jazz,
versinnbildlicht durch legendäre Aufnahmen (zum Beispiel Sonny Side
Up), Plattenlabels (zum Beispiel Blue Note Records) und
Gruppen (zum Beispiel das zweite Miles-Davis-Quintett). Pädagogen würden
sich oft auf Musiker wie die Saxophonisten John Coltrane, Charlie Parker
und Sonny Rollins, auf die Trompeter Miles Davis, Dizzy Gillespie,
Clifford Brown und Lee Morgan und auf die Pianisten Bill Evans und Bud
Powell berufen. (Quelle: Eitan Y. Wilf, School for Cool, 2014,
Kindle-Version, S. 97)
- Näheres: Link
- Wirklich populär wurde der
Jazz allerdings auch in dieser Form nicht. Burton W. Peretti: Die
Popularität des von Wynton Marsalis verfochtenen
Classic-Jazz-Mainstreams sei gering geblieben. 1995 habe es in den
Vereinigten Staaten keinen einzigen kommerziell unterstützten
Jazz-Radiosender gegeben. (Quelle: Burton W. Peretti, Jazz in
American Culture, 1997, S. 175)
- Burton W. Peretti: In den
Augen mancher Älterer erschienen die jungen Musiker um Wynton Marsalis
als verhätschelte, gut bezahlte Mitglieder der neuen schwarzen
Mittelschicht, die die Jazzgeneration der 1960er und 1970er Jahre
unfairerweise beschimpften, ohne Verständnis für die mutigen und
schmerzhaften künstlerischen Kämpfe der Älteren. Die Jungen hätten
öffentliche Verachtung für die militante künstlerische Perspektive
gezeigt, die in den Ghettos unter dem Druck von Gewalt und Armut
entstanden war. Das Bild von jungen Mitgliedern der neuen schwarzen
Mittelklasse – den Nutznießern der Kämpfe der 1960er –, die die Musik
der 1960er Jahre mit Verachtung überhäuften, sei besonders verletzend
erschienen. (Quelle: Burton W. Peretti, Jazz in American
Culture, 1997, S. 167)
- Näheres und Quelle: Link
- Näheres:
Link und Steve Colemans Erläuterung What Is
M-Base? auf seiner Website (Internetadresse:
http://m-base.com/what-is-m-base/)
- Näheres:
Link
- Steve Coleman: 1.) Für ihn
gehe es darum, durch die Musik auszudrücken, wer man ist. Es gehe darum,
seine Existenz auszudrücken. (Quelle:
Link
SteveColeman/text_I01.html); 2.) Es gehe letztlich darum,
auszudrücken, was man ist – nicht, wer man sein möchte oder für wen man
sich hält, sondern was man im Innersten tatsächlich ist – emotional,
großteils unbewusst, mit aller persönlichen Erfahrung. (Quelle: Steve
Colemans Video-Konferenz mit Mitgliedern seiner Internet-Plattform
M-Base Ways am 15. August 2020); 3.) „Wenn ich durch meine Musik
spreche, bin ich eine schwarze Person in Amerika und das ist definitiv,
woher ich komme. Das ist definitiv, worüber ich spreche. Ich weiß nicht,
was es heißt, eine weiße Person in Amerika zu sein. Ich weiß nicht, was
es heißt, irgendetwas anderes zu sein als das, was ich bin. Und wenn du
ehrlich von tief in deinem Inneren heraus gestaltest, dann wirst du von
daher kommen, wer du bist, wer du wirklich bist.“ (Quelle:
Podiumsdiskussion zum Thema Jazz And Race: Black, White, And Beyond
am 30. März 2001, veranstaltet von der San Franciso Jazz
Organization, Niederschrift der Diskussion, Internet-Adresse:
http://web.archive.org/web/20030825173422/http://jazztimes.com/race_jazz1.cfm)
- Eitan Y. Wilf: Die meisten
der ehemaligen Jazzmeister, die in der akademischen Jazzausbildung
verehrt werden, hätten ihre Spuren zwischen den 1940er und den späten
1960er Jahren hinterlassen – in einer Ära, die der vollständigen
Akademisierung des Jazz vorausging. In dieser Zeit sei Jazz noch eine
ausdrucksstarke Kulturform gewesen, die überwiegend in
afroamerikanischen Gemeinschaften verankert war. Folglich seien die
meisten Pädagogen, die eine signifikante „Abstammung“ zu den
Jazzmeistern nachweisen können, ebenfalls Afroamerikaner, während die
meisten professionellen Pädagogen, die diese Abstammung nicht nachweisen
können, Weiße seien. (Quelle: Eitan Y. Wilf, School for Cool,
2014, Kindle-Version, S. 110)
- Eitan Y. Wilf im Jahr 2014:
Bereits zur Zeit seiner Feldforschung (2006/2007) seien im Berklee
College of Music (der weltweit größten Jazz-Hochschule) sowohl die
meisten Lehrer als auch die meisten Schüler „weiße“ Männer mit
bürgerlichem Hintergrund gewesen. Afroamerikanische Jazzstudenten
bildeten eine vernachlässigbare Minderheit. – In den letzten Jahrzehnten
sei im Zuge des allgemeinen Rückgangs der populären Nachfrage nach Jazz
die Zahl der außerschulischen Aufführungsorte zurückgegangen, während
die Zahl der Jazz-Ausbildungsprogramme zunahm. Folglich hätten viele
(wenn auch sicherlich nicht alle) der jüngeren Pädagogen der heutigen
Jazzprogramme nicht von einer längeren Ausbildung bei erfahrenen
Meistern profitiert, bevor sie ihre akademische Positionen einnahmen.
Vielmehr habe der größte Teil ihrer Ausbildung in akademischen
Jazzprogrammen stattgefunden. Außerdem sei die gegenwärtige
Performance-Tätigkeit vieler jüngerer Erzieherinnen und Erzieher
ziemlich begrenzt. Dies sei ein Zustand, den sie offen anerkennen. Die
Jazzprogramme seien dazu gezwungen, Musiker zu rekrutieren, die eher
professionelle Pädagogen als professionelle Interpreten sind. In der
Jazzwelt werde dieser Trend abwertend und etwas vereinfachend als
„Teachers Teaching Teachers“ bezeichnet. (Quelle: Eitan Y. Wilf,
School for Cool, 2014, Kindle-Version, S. 55 und 95)
- Eitan Y. Wilf: Der Eintritt
des Jazz in die akademische Welt sei parallel zur zunehmenden
Repräsentation weißer Spieler der Mittelklasse und oberen Mittelklasse
in die Jazzwelt erfolgt. Vor dem Hintergrund der umstrittenen
amerikanischen Rassenpolitik würden weiße Pädagogen möglicherweise
zögern, die Geschichte von Ausgrenzung, Segregation und Bigotterie
vorzustellen, die ein wesentlicher Bestandteil der eigenen Geschichte
des Jazz waren. (Quelle: Eitan Y. Wilf, School for Cool, 2014,
Kindle-Version, S. 159)
- Rio Sakairi, künstlerische
Leiterin der Jazz Gallery (einem der bedeutendsten Jazzklubs in
New York), im Jahr 2022: Man könne die Tatsache, dass Jazz am
Konservatorium unterrichtet wird, nicht außer Acht lassen. Jüngere
Musiker, die herauskommen, durchliefen alle das Schulsystem. (Quelle:
Giovanni Russonello, (Exploring The Many Places) Where Jazz Lives
Now, Zeitung The New York Times vom 22.3.2022,
Internet-Adresse:
https://www.nytimes.com/2022/03/17/arts/music/jazz-club.html)
- Näheres:
Link
- Maria Schneider („weiße“
Jazzkomponistin) im Jahr 2008: Die alte Jazzkultur existiere nicht mehr.
(Quelle: Ben Ratliff, A Jazz Lifeline to Academia Is Severed,
Zeitung The New York Times vom 26.4.2008, Internet-Adresse:
https://www.nytimes.com/2008/04/26/arts/music/26jazz.html)
- Näheres:
Link
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